Beim Symposium, das die Gemeinschaft in der Uckermark bei Berlin einberufen hat, kamen Akteure aus Landwirtschaft und Lebensmittelhandwerk zusammen, um eine neue Esskultur voranzutreiben. Querdenker wie Jack Algier (Stone Barns), Christine Pohl (Ernährungsrat Berlin) und Micha Schäfer (Nobelhart & Schmutzig) beschrieben ihre Zukunftsvisionen für eine nachhaltige Gastronomie und regten zum Austausch darüber an, was eine neue Esskultur leisten müsste und wie sich diese realisieren ließe.
Einen Gedanken säen
Auf dem weitläufigen Gut Kerkow, das Pionierin Sarah Wiener 2015 zusammen mit zwei Partnern kaufte, wurde in sechzehn über den Tag verteilten Workshops unter anderem über die Kochausbildung, das Verhältnis zwischen Landwirt und Koch, die Imagepflege durch soziale Medien und die Wirtschaftlichkeit von Biodiversität auf dem Teller diskutiert.
„Echter Genuss ist eine komplexe Angelegenheit“, sagt Organisatorin Friederike Gaedke und erklärt damit das umfangreiche Workshop-Angebot. Genuss entsteht eben nur im Zusammenspiel vieler Hände. Die Gemeinschaft, die Landwirt*innen, Köch*innen und Gastronom*innen vereint, macht mit Aktionen oder Zusammenkünften wie dem Symposium darauf aufmerksam, dass es auf das partnerschaftliche Wirken ankommt. „Unser Ziel ist die weitreichende Vernetzung, um eine Zusammenarbeit zu fördern und das Fundament für eine deutsche Esskultur mit eigener Identität zu legen“, führt Friederike aus.
Regionalität, Transparenz und Mut zur Identitätsfindung
Neben einer besseren Vernetzung der Branche fordert die Gemeinschaft eine Revolution der Esskultur sowohl auf dem Feld und in der Küche als auch in den Köpfen der Menschen. In einer solchen neuen Esskultur wird echtes Essen wieder zelebriert, Lokalitäten geschätzt und erhalten, Handwerk jeder Art geehrt, ein achtsames Miteinander gefördert und Natur in ihrer Wertigkeit allem vorangestellt.
Die deutsche Küche erlebt gerade einen Paradigmenwechsel der besonderen Art: Statt der Auslobung von Luxusprodukten und einer weit verbreiteten Homogenisierung kulinarischer Konzepte spielen Regionalität zu Schärfung der eigenen gastronomischen Identität und deutlich mehr Transparenz zwischen Gast und Gastgeber, aber auch zischen Koch und Landwirt eine immer wichtigere Rolle.
Aus dieser Bewegung heraus soll sich nach Hoffnung der Weitdenker beim Symposium eine neue deutsche Küche entwickeln, die sich an alten Küchentraditionen und dem, was schon unseren Großeltern schmeckte, orientiert. Was eine authentische Küche ausmacht und was es künftig braucht, um eine neue Esskultur hervorzubringen, zu fördern und zu definieren, das erörterten die Workshop-Teilnehmer*innen zusammen mit Felix Bröcker.
Ausbildung neu definieren
Damit es zu einer Revolution der regionaltypischen Esskultur kommen kann, braucht es aber vor allem fähigen Nachwuchs, der in der Lage ist, Gastronomie neu zu denken. Doch der Ausbildungsmarkt in Deutschland ist schon länger von deutlichen Besetzungsproblemen geprägt. Die Zahl derjenigen, die die Kochausbildung anfangen nimmt ab, die der Abbrecher*innen hingegen steigt Jahr für Jahren. Die Gründe dafür sind vielfältig und hängen nicht nur, aber wohl auch mit den Struktur- und Arbeitsbedingungen und der Ausrichtung des Lehrangebots ab.
Wie die Kochausbildung sich wandeln kann und muss, um jungen Menschen in diesem Beruf tatsächlich Perspektive zu bieten, wurde im Workshop mit IHK-Referentin Annette Voigt diskutiert. Die Teilnehmer*innen wünschten sich vor allem alternative gastronomische Ausbildungswege, einen verbesserten Austausch zwischen den (internationalen) Ausbildungsbetrieben und mehr eigenverantwortliches Arbeiten.
Vom Landwirt zum gefeierten Blogger
Der Branche macht, wie jeder Beteiligte weiß, nicht nur der stetig wachsende Personalmangel zu schaffen. Sie hat auch mit hartnäckigen Vorurteilen zu kämpfen. Beim Symposium sollte damit aufgeräumt werden. Ein Weg könnte sein, Menschen, die selbst nicht in gastronomischen Berufen tätig sind, mehr Einblicke in den Alltag des Kochs oder auch des Landwirtes zu gewähren. So handhabt es Ingmar Jaschok sehr erfolgreich. Er ist Landwirt und Blogger (“Hofhuhn-Blog”). Auf 100 Hektar leben neben seiner Familie etwa 100 Hühner, 40 Milchkühe und ein paar Schwein. Eine kleine Hofkäserei gehört ebenfalls zu seinem Imperium. Wo neben der Arbeit auf dem Hof noch Zeit für Social Media bleibt, ist den meisten ein Rätsel. Doch Ingmar Jaschok hat verstanden, dass Öffentlichkeitsarbeit im Internet für Unternehmen mehr und mehr an Wichtigkeit gewinnt und dass das eben gleichermaßen für landwirtschaftliche Betriebe gilt.
Beim Symposium verriet er den Teilnehmer*innen, wie er seinen Blog vom Trecker aus pflegt, nebenbei noch einen Podcast betreibt, Texte verfasst und so seiner ständig wachsen Community Einblicke in seinen landwirtschaftlichen Alltag gibt. Landwirte, aber auch Gastronomen, wissen oft nicht, was sie kommunizieren können und sollten. Anfangs hatte auch Ingmar bei jedem Post Angst vor einem ‚Shitstorm‘, doch mit der Zeit wurde er mutiger „Heute nutze ich die sozialen Medien, um auf meine Arbeit und meine Art der Tierhaltung aufmerksam zu machen und so vielleicht etwas zu verändern“, sagt Ingmar. Ein hohes Maß an Authentizität und Ehrlichkeit zeichnen ihn dabei aus.
Koch und Gärtner sind Partner
Doch nicht nur die Kommunikation nach außen gehört überdacht, sondern auch der Austausch zwischen Koch und Landwirt. Theoretisch arbeiten beide Hand in Hand – praktisch sprechen sie oft zu wenig miteinander. Und das, obwohl beide voneinander abhängig sind. Mehr Austausch, mehr Miteinander und mehr voneinander lernen ist die Devise, um besser zu verstehen, was der eine vom anderen überhaupt will und braucht.
Durch einen intensiveren Austausch von Küche und Landwirtschaft kommen Stadt und Land sich wieder näher und die Erzeuger*innen treten aus ihrer Anonymität. Alle Akteure können so ihren Teil für eine bessere Gastronomie von morgen beitragen, gemeinsam neue Wege definieren und dadurch direkt Einfluss auf die Zukunft nehmen.
Vertrauen in gute Lebensmittel stärken
Langfristige Partnerschaften zwischen Köchen und regionalen Anbietern ermöglichen mehr Transparenz, die das Vertrauen in gute Produkte bei allen Beteiligten stärkt. In enger Zusammenarbeit lässt sich zudem die Forderung nach mehr Biodiversität auf dem Teller sowohl für den Koch als auch den Landwirt ökonomisch attraktiv umsetzen. Zwar sind Lebensmittel, die vom Mainstream abweichen, erst mal erklärungsbedürftiger und erfordern unter Umständen mehr Produktwissen von den Köch*innen. Sie bieten aber auch beachtenswerte Möglichkeiten das Profil des Restaurants zu schärfen. Die Aufgabe des Gastronomen besteht dabei auch darin, die Wertschätzung für hochwertige Lebensmittel aus nachhaltiger Produktion ebenso bei ihren Gästen zu wecken.
„Für die Menschen, die bereit sind, mehr für Lebensmittel aus vertrauenswürdigen Quellen zu zahlen, müssen wir die Unterschiede zu konventionellen Waren herausstellen“, betont Jack Algier, der für das Symposium extra aus New York angereist ist. Er plädiert ebenfalls dafür, den globalen Austausch zwischen Gleichgesinnten voranzutreiben. Seiner Meinung nach sei das der nächste Schritt, nachdem der regionale Zusammenschluss bereits gut funktioniere.
Die Forderung nach Veränderung wurde bei seinem mitreißenden Vortrag deutlich: „Wenn es keiner wagt, etwas zu verändern, tut es niemand. Da bin ich lieber der Freak, der Utopist, der Andersdenker, als irgendwann sagen zu müssen ‚Hätte ich mal…‘!“