Umami ist japanisch und beschreibt dieses wohlige „Yummy“-Gefühl, eben den Geschmack von leckerem Essen. Den Geschmack genauer zu beschreiben, fällt nicht leicht und doch wissen wir alle sofort, was damit gemeint ist: Erinnerungen an Omas Hühnersuppe oder den Sonntagsbraten, den es früher schon gab, kommen hoch.
Der Geschmack von Zuhause
Auf der Suche nach der richtigen Beschreibung für den Geschmack seiner Dashi benannte der Chemiker und Professor Kikunae Ikeda erstmalig „umami“ als fünfte Geschmackrichtung. Die japanische Brühe schmeckte nämlich weder süß, noch salzig, auch nicht sauer oder bitter, sondern einfach nur köstlich. Verantwortlich dafür ist Glutamat, ein Salz der zu den Aminosäuren zählenden Glutaminsäure. Eiweißhaltige Lebensmittel sind besonders reich an Aminosäuren und haben damit das Potenzial, sich als wahre Geschmacksbomben zu entpuppen. Doch damit das Glutamat geschmacklich wahrnehmbar wird, müssen die Proteine durch Erhitzen, Reifen, Trocknen und Gären erst mal aufgebrochen werden. All das fand der Wissenschaftler bereits 1908 heraus. Bis diese Erkenntnis bei uns in Europa Akzeptanz erfuhr, sollte es allerdings noch knapp 100 Jahre dauern.
Professor Ikeda ist mit Nichten der einzige Wissenschaftler, der dem Geschmack auf den Grund gehen möchte. Hierzulande ist der Physiker Professor Dr. Thomas Vilgis vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung ein gefragter Vertreter. An der Universität in Mainz erforscht Professor Dr. Vilgis die physikalische Chemie von Lebensmittelsystemen, unter anderem von Aroma- und Geschmackstoffen. Seine Erkenntnisse teilt er mit Köchen. Er arbeitet eng mit ihnen zusammen und schlägt so eine Brücke zwischen wissenschaftlicher Theorie und praktischer Umsetzung in der Küche.
Guter Geschmack ist angeboren
Laut Vilgis zählt umami neben süß zu den angeborenen Hauptgeschmäckern, schließlich weise sogar menschliche Muttermilch einen hohen Glutaminsäuregehalt auf – übrigens einen deutlich höheren Anteil als bei anderen Säugern. Das erklärt auch, warum kaum eine Geschmacksrichtung so emotional aufgeladen ist, wie umami. „Während wir süß und umami also von Anfang an mögen, müssen die anderen Geschmacksrichtungen erst erlernt werden.“ Mit zunehmend fester Kost können wir also ebenfalls salzig, sauer und bitter unterscheiden. „Bitter ist am schwersten zu erkennen“, weiß der Wissenschaftler und erklärt, dass das mit ein Grund ist, weshalb Kindern bittere Lebensmittel wie Spinat in vielen Fällen erst mal nicht schmecken. Im Laufe der Zeit wissen wir die Vielfalt aber zu schätzen.
Umami wirkt wie eine Umarmung
„Ein ausgewogenes Gericht sollte alle Geschmäcker bedienen, also sowohl süß als auch salzig sein, Bitternoten oder eine leichte Schärfe bringen Spannung rein und umami rundet das Geschmackserlebnis schließlich ab“, erklärt Björn Moschinski, der seit 20 Jahren in der Gastronomie tätig ist. „Umami wird allerdings oft mit dem Geschmack von Fleisch assoziiert“, führt er aus. Das ist nicht grundsätzlich verkehrt. Einen besonders hohen, natürlichen Glutamatgehalt weisen jedoch fermentierte Lebensmitteln wie Sojasauce auf. Für mehr Geschmack am Gericht sorgen zudem Pilze, Spargel, Erbsen, Walnüssen, Sellerie, Karotten, Knoblauch oder Zwiebeln. Je nach Vorliebe lässt sich aus diesen Zutaten eine vegane Würzpaste zubereiten, die jedem Gerichte die nötige Tiefe verleiht. So handhabt es zumindest Björn Moschinksi, der sich auf die vegane Küche spezialisiert hat. Ebenfalls geeignet ist eine Dashi aus Kombu Algen, Bonitoflocken und Goji Pilzen. Am besten werden dafür die Zutaten mit einem Liter Wasser einvakuumiert und für mindestens eine Stunde bei 65 Grad im Sous-Vide-Gerät gegart. „Ich portioniere mir die Brühe in Eiswürfelbehältern vor und gebe sie nach Bedarf an meine Gerichte. Dadurch bekommen sie einen volleren, fast fettigen Geschmack“, beschreibt Björn sein Vorgehen.
Treffsicher: Die Kombination aus Süße und umami
Sogar im Dessert verstärken Umaminoten den Geschmack der anderen Komponenten. Daniel Budde, Inhaber und Geschäftsführer der Schokoladenmanufaktur Candide aus Berlin, macht sich das zu Nutze. Der gelernte Patissier hat sich bereits im Food Science Studium intensiv mit Lebensmitteln auseinander gesetzt. Er wollte begreifen, wie Geschmäcker entstehen und wie sie auf den Menschen wirken. „Vor allem der unvergleichliche Umamigeschmack und Süße triggern unser Hirn. Indem ich die Kombination gezielt einsetze, lässt sich das ganze Geschmackserlebnis eines Gerichtes lenken“, erklärt der Confiseur. „Erst wenn du verstehst, wie Geschmack funktioniert, kannst du damit vernünftig arbeiten!“, ist er überzeugt.
Sein erlangtes Wissen hat Daniel Budde in diversen Fine Dining Restaurants wie dem Hugos oder im Restaurant Tim Raue über Jahre verfeinert. Heute weiß er die Geschmäcker meisterlich zu kombinieren und verwendet umami wie ein Werkzeug, zum Beispiel, wenn es einem seiner Desserts an Vollmundigkeit fehlt. In diesem Fall setzt er einen leichten Fond aus Hühnerschenkeln, Zitronengras und Holundersaft mit etwas Meersalz und Zucker an, lässt diesen einkochen, klärt ihn anschließend und kühlt ihn langsam herunter. „Der Geschmack eines Sorbets wird mit dem Sud verlängert und die einzelnen Nuancen kommen klarer heraus“, sagt Budde.
Geschmack erzeugt Erinnerungen
Den Effekt, dass umami einerseits dieses wohlige Gefühl und damit Erinnerungen hervorruft, andererseits aber auch das Geschmacksbild runder und kraftvoller werden lässt, nutzen Köche aus der Senioren- und Krankenverpflegung verstärkt, denn durch Alter oder Krankheit kann die Wahrnehmung von Geschmack stark eingeschränkt sein. Frank Joppke hat es sich zur Aufgabe gemacht schmackhafte Lösungen zu finden und entwickelt deshalb Speisen für Pflegeheime. „Es kommt vor, dass Menschen, die unter Krankheiten wie Demenz leiden, die Nahrungsaufnahme schon mal über Tage verweigern, wenn ihnen die Speisen einmal nicht bekommen sind oder nicht geschmeckt haben. Das ist fatal, da Unterernährung droht!“
Deshalb bringt Joppke im ersten Schritt in Erfahrung, was die Bewohner schon früher gerne gegessen haben und baut die Gerichte daraufhin geschmacklich und optisch nach. Schweinebraten mit Kartoffeln und buntem Gemüse als passierte Kost? Für den gelernten Koch ist das heute keine große Herausforderung mehr. Da sich verarbeitetes und passiertes Fleisch nur mit viel chemischem Aufwand rekonstruieren lässt, sind seine Gerichte überwiegend vegetarisch, sehen aber aus wie das Original. Das Extra an Geschmack erreicht er – natürlich – durch die Zugabe von umami, das er aus Parmesan oder getrockneten Tomaten gewinnt. Mit seinen Gerichten will Frank Joppke Erinnerungen an bessere Zeiten wecken und ganz nebenbei die Nährstoffaufnahme so geschmackvoll wie möglich gestalten. Schließlich hat Essen mit Würde zu tun und die will er für seine Gäste erhalten. Das gelingt ihm – umami sei Dank – sehr gut! Und so sind wir uns wohl einig, dass umami sich zwar schwer beschreiben lässt, deshalb darauf zu verzichten ist aber wohl keine Option.