Bier wird zunehmend salonfähig. Mittlerweile kann es in Sachen Hochwertigkeit und Angebots- sowie Geschmacksvielfalt locker mit Wein mithalten. Selbst auf den Karten ausgezeichneter Sternelokale sind heute ausgewählte Highclass Biere zu finden. Ganz offensichtlich hat in den letzten Jahren ein Imagewandel stattgefunden, denn Bier ist schon lange nicht mehr nur das klassische Kneipengetränk, sondern taugt auch als Begleiter für die gehobene Küche.
Neue deutsche (Bier-)Welle
Bier gilt gemeinhin als deutsches Kulturgut, wird doch nach wie vor in den Brauereien das deutsche Reinheitsgebot hochgehalten. Doch dann traf vor einigen Jahren die Craft Beer Welle auch Europa und Deutschland – zugegeben mit etwas Verspätung – und plötzlich war es vorbei mit den allzu strengen Regularien rund ums Bierbrauen. Zwar verstoßen die meisten Craft Beer Sorten genau genommen nicht gegen das Reinheitsgebot, nach dem Bier ausschließlich mit Wasser, Hopfen, Malz und Hefe gebraut werden darf, aber die neue Art des Bierbrauens und -trinkens rüttelte die uralte Bierbranche ordentlich auf.
Während sich also die einen noch zierten, schürten andere bereits neugierig das Feuer unter dem Bierbraukessel, um im Selbstversuch ihr eigenes Bier herzustellen. Heute schenkt beinahe jede Gastwirtschaft ihr eigenes, oder zumindest regional gebrautes Bier, aus. Heute ist Bier in einer Vielfalt erhältlich, die in den frühen 2000ern noch undenkbar, gar unnötig schien. Heute ist der Gast pikiert, findet er nicht mindestens eine Bierspezialität neben den Klassikern der Großbrauereien auf der Getränkekarte.
Kassenschlager Craft Beer
Craft Beer ließ schon rasch die Kassen klingeln, denn Craft Beer – das klingt nach Handwerk, nach Sympathie für eine Kleinbrauerei, von der man den Braumeister direkt mit Vornamen ansprechen möchte, nach Bier für jede Lebenslage, vorzugsweise aber die guten, das klingt nach einer Geschichte. Und genau so ist es auch. Craft Beer steht für Individualität, Kreativität und handwerkliche Braukunst. Das ist ebenso die Erklärung dafür, dass Bierliebhaber für Craft Beer etwas tiefer in die Tasche greifen müssen. Zum einen sind die Brauprozesse aufwendiger, oftmals wird mehr Rohware benötigt oder die Zutaten wie spezielle Hefen, Malzarten oder Hopfensorten sind nur schwer erhältlich. Zum anderen reichen die Kapazitäten der Mirkobrauereien nur schwerlich an die der Großproduzenten heran, was den Umfang der Charge begrenzt.
Der große Vorteil von Bier ist seine ohnehin schon angestammte Coolness, seine Ungezwungenheit und die hohe Akzeptanz, die dem Getränk widerfährt. Die Hemmschwelle, Neues zu probieren, ist bei Bier deutlich geringer als bei Wein. Und so testen sich die Besucher hipper Lokalitäten gerne durch meterlange Probierbretter mit 0,1er-Gläsern darauf, kosten sich Schluck für Schluck durch hopfenlastiges IPA, fruchtiges Pale Ale, gestopftes Lagerbier, kräftiges Porter und malziges Stout.
Raffinesse der Braukunst
„Während bei Wein Region, Bodenart, Traube, Fasslagerung und Reifedauer den Geschmack bestimmen, entscheiden bei Bier Hefe, Malz und Hopfen, in welche Richtig es geschmacklich gehen soll“, erklärt Braumeister Tom Pyke vom Brauhaus BRUS in Kopenhagen. Bis zu 30 verschiedene Biersorten stellt er vor Ort selbst her. Dafür wählt er die Zutaten sorgsam aus. Mit den 16 verschiedenen Hefearten, die sich im Repertoire des Braumeisters befinden, lassen sich die Geschmacksnuancen der Brauerzeugnisse präzise steuern. „Ich wähle die Hefe für unsere Biere je nach Saison aus, jede ist anders, jede verleiht dem Bier einen anderen Geschmack“, führt der Braumeister aus. Besonders begeistert er sich für wilde Hefe, die er zur Herstellung von IPA nutzt. Sie wird nach der Hauptgärung zugesetzt. „Dadurch schmeckt das Bier noch mal ganz anders!“, betont er.
Die perfekte Symbiose mit Bier
Zum Brauhaus BRUS gehört das Restaurant „Spontan“, das von Christian Gadient geleitet wird. Der gebürtige Österreicher machte als jüngster Michelin-Sternechef Dänemarks von sich reden, bevor er sich dem Relaxed Fine Dining zuwandte. Gemeinsam mit Braumeister Tom stimmt er jedes seiner Gerichte auf die aktuellen Biere ab. Sie verfolgen die Idee, die Grundzutaten des Bierbrauens – Hefe, Hopfen oder Malz – auch in der Küche zu verwenden. „Zum Klassiker meiner Heimat, dem Wiener Schnitzel mit seinem süßlichen Kalbsfleisch und der salzig-fettigen Panade, den süß-sauren Preiselbeeren und dem scharfen Meerrettich braucht es ein leichtes Bier wie ein Kölsch oder Pils“, erläutert Gadient. Für die Panade des Schnitzels nutzt der Koch dasselbe Malz, das beim Bierbrauen zum Einsatz kommt. Das Ergebnis überzeugt.
Noch raffinierter wird es mit Christians Artischocken-Püree, das er zu geröstetem Topinambur und eingelegten Kiefernfichten serviert. Dem Püree verleiht er mit einem Boon Lambic noch mehr Tiefe. „Durch das Bier erreichen wir, dass sich die süßen Aromen der Artischocke mit den fettigen Nuancen des Gerichtes verbinden“, erklärt der Koch.
Kräftiges Fleisch braucht hingegen einen echten Gegenspieler: Zum Beef Short Rib mit fermentierten Stachelbeeren und hausgemachter Habanero-Sauce gibt es im Restaurant „Spontan“ eine herbe Gose nach deutscher Art, die mit Orangen gebraut wird. „Treffen die Fruchtigkeit und Säure des Bieres auf das würzig-scharfe Fleisch, ergibt das im Mund die vollkommene Harmonie. Wahnsinnig gutes Food Pairing eben!“, schwärmt Gadient.
Bei seinen Ausführungen wird schnell klar: Ohne weiteres kann so manch handverlesenes und in blumigen Worten angepriesenes Bier es mit den viel gelobten Naturweinen aufnehmen. Insbesondere saure Biere passen hervorragend zu fast jeder erdenklichen Art des Essens. „Gastronomen müssen lediglich lernen, wie sie die Spezialbiere im Restaurant bestmöglich einsetzen und ihren Gästen schmackhaft machen“, betont Christian Gadient.