Barfood

Just Bar Food

Kaum eine Tageszeit ist so inspirierend wie die Stunden, bevor der Abend dämmert. Meisterliche Gedichte wurden der sogenannten Blauen Stunde gewidmet, Lieder über sie geschrieben und so immer wieder versucht, sie greifbarer zu machen. Was läge da näher, als die Zeit zwischen Sonnenuntergang und Nacht bei guten Essen zu genießen. Nichts üppiges, sondern hervorragend einfach und voll Genuss. Bar Food eben, am besten zu erfrischenden Drinks auf Eis und lauschiger Musik serviert.

Dining at Dusk

Bar Food muss weder aufwendig sein, noch aus vielen Zutaten bestehen. Es soll Lust auf den Abend machen und zum Gehenlassen, zum Genießen und zum Sein anregen. Bar Food verkörpert ein Lebensgefühl, das den meisten aus entspannten Urlaubsstunden in Italien, Spanien oder Frankreich geläufig ist. Hier gehört es zum guten Ton, vor dem Abendessen in Gesellschaft etwas Kleines vorweg zu sich zu nehmen.

Einer, der sich intensiv mit dem Thema auseinander gesetzt hat und der Blauen Stunde und weltweit zelebriertem Bar Food sogar ein Kochbuch widmete, ist Stevan Paul. „Bar Food, das ist viel mehr als salzige Nüsse oder anderes Knabberzeug“, weiß er. Die Idee zum Buch kam im bei einer Japanreise. „Ich habe mit vielem gerechnet, aber eben nicht damit, ausgerechnet hier die Kneipenküche für mich zu entdecken“, erzählt der gelernte Koch.

Blaue Stunde einmal um die Erde

Fortan achtete Stevan Paul vermehrt darauf, was die Genießerküche zu bieten hat und sammelte ländertypische Bar Food Spezialitäten aus Marokko, Ungarn, Belgien, aus der Türkei und der Schweiz – eigentlich aus jedem Land, das er in den letzten zehn Jahren bereiste. „Tatsächlich habe ich mich mit Deutschland am schwersten getan“, gesteht der Kochbuchautor. „Wir haben scheinbar keine richtige kulinarische Tresenkultur. Dabei gibt es durchaus typisch deutsche Kleinigkeiten, die wunderbar passen würden“, betont er. Eine gute Stulle mit selbstgemachten Aufstrichen käme bei den Gästen sehr gut an oder eigelegtes Gemüse wie saure Gurken.

Eine seiner frühen, kulinarischen Kindheitserinnerungen schaffte es dann doch nicht ins Buch: russische Eier. Dafür werden hart gekochte Eier halbiert, das Gelbe vorsichtig herausgelöst und ein Tropfen Essig sowie ein Klecks Senf in die entstandene Mulde gegeben. Anschließend kommt das Eigelb wieder darauf. Könner genießen die russischen Eier in eins. „Ich würde heute noch einen Löffel Kaviar dazugeben. Perfekt!“, schwärmt Stevan Paul.

Bar Food ist für Gönner

Die Wiederentdeckung des Bar Food versteht er als eine Art Gegenbewegung zur allgegenwärtigen Askese. „Ich wollte mit dem ständigen Verzicht bewusst brechen. Mit diesem ‚bitte ohne…‘, das in der Küche schon keiner mehr hören mag, dieses Reglementieren von außen“, betont er. „Die Blaue Stunde symbolisiert diesen Moment, in dem man sich einfach etwas gönnt. Zur Blauen Stunde ist alles erlaubt ist, was Spaß macht: Zucker, Alkohol, Fett.“ Und so widmet er das Buch jenen Menschen die das Leben in vollen Zügen genießen und Spaß an süffigen, fröhlichen Gerichten haben.

Schnelle, raffinierte Tresenküche

Bar Food ist schnell gemacht, möglichst unkompliziert und im Idealfall ist alles fertig vorbereitet, bevor die ersten Gäste kommen. So können Gastronomen sich voll und ganz auf das Gastgebersein konzentrieren und sich ihren Gästen widmen.

Seine schönsten Blauen Stunden hat Stevan Paul übrigens in Padina und Lissabon erlebt. In der Hauptstadt Portugals, in einem der unzähligen Straßenlokale auf dem  Flanier-Boulevard der palmen- und platanengesäumten Prachtstraße Avenida da Liberdade, wo sich die Nachbarschaft zum abendlichen Tanz trifft, genoss er auch zweierlei Fischsalat mit Sardinen, Thunfisch und Stockfisch. Abgeschmeckt mit gutem Öl, feinem Essig, Gewürzen und Kräutern und wurden sie in der Fischdose angerichtet. Gerade die Art des Anrichtens – praktisch, handlich und appetitlich zugleich – ist so typisch für gelungenes Bar Food.

Etwas rustikaler wird’s mit Haggis Meat Balls, einer Abwandlung des schottischen Traditionsgerichts, für das Schafsmagen mit gehackten Innereien, Nierenfett, Zwiebeln und Hafermehl gefüllt wird. In englischen Pubs kommen stattdessen ähnlich zubereitete Hackbällchen zu einer süßlichen, scharfen Sauce mit Preiselbeeren, Chili und Apfel auf den Tisch.

Eines der speziellsten Rezepte aus Stevans Buch ist eine gewagte Kombination aus Kircherbsen, gewürzter Zartbitterkuvertüre und Orangenfilets. „Ich war damals auf einer Reise durch Italien, der Weg zum Restaurant, das wir besuchen wollten, war holprig und draußen standen Ziegen zum Grasen. Uns empfing eine Frau mit einem großen Pott im Arm. Nach ihrer hervorragenden Steinofenpizza, anschließendem Schafskäse zu Oliven und frisch gebackenem Brot brachte sie uns die Kichererbsen in Schokoladensoße als Dessert. Anfangs war ich skeptisch, aber die Kombination schmeckte himmlisch!“, erinnert Stevan Paul sich. Das Rezept im Buch ist die Erinnerung an den Geschmack und die Atmosphäre an diesem Abend. Dazu empfiehlt er ein gutes, selbstgemachtes Vanilleeis.

„Es sind diese Kleinigkeiten, die mit viel Liebe zum Geschmack zubereitet werden und die ich im Buch abbilden wollte“, sagt Stevan Paul. Zu den Gerichten der Blauen Stunde hat Stevan Paul neben jeder Menge Geschichten zum Schmunzeln auch eine passende Playlist mit über drei Stunden Musik zusammengestellt. „Ich möchte zu einer kulinarisch-musikalischen Weltreise einladen. Die Playlist ist wie die Rezeptsammlung eine bunte Mischung. Jazz, Lounge Musik, italienischen Canzoni, Chansons und orientalische Klängen sollen auf die Blaue Stunde einstimmen.“

Der Artikel erschien zuerst in der Küche Nr. 7

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