Exakt 68 Meter hinter der Grenze Hamburgs liegt Gut Wulksfelde. Hier ist die Welt noch in Ordnung, hierher fliehen die Städter auf der Suche nach Entschleunigung. Ein hohes weißes Tor säumt die Einfahrt, zu beiden Seiten erstrecken sich gepflegte Ställe und Grünflächen. Überall wuselt es vor Menschen und Tieren. Im Mittelpunkt dieses Treibens erhebt sich die Gutsküche, in der unaufdringlich-modernes Flair auf heimelig-rustikales Interieur trifft. Die Gäste nehmen an langen Holztafeln Platz und wer möchte, kann ganz ungeniert in die offene Küche schauen. Sie ist das Herzstück der Gutsküche und wird von Matthias Gfrörer geleitet.
Rückkehr eines Weltenbummlers
„Nach meiner Zeit in New York, Dubai und an der Côte d’Azur zog es mich zurück in meine Heimat Hamburg. Ich wollte endlich etwas Eigenes schaffen“, sagt Matthias Gfrörer, der zurück in Deutschland erst noch Station bei Sterneköchin Cornelia Poletto machte und das Konzept für die Mama Trattoria auf die Beine stellte. „Damals war ich auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten für ein Restaurant in der Hamburger Hafencity. Dann kam das Angebot, die Gutsküche zu eröffnen“, erzählt der Koch. Lange überlegen musste er nicht. Das Konzept der Gutsküche war wie gemacht für ihn und seine Sehnsucht nach Heimat.
Zehn Jahre ist es nun her, dass der Koch die Türen zu seinem eigenen Restaurant aufschloss. In diesem Jahr feiert die Gutsküche zehnjähriges Jubiläum und erzählt noch immer die Geschichte vom Hof auf den Teller. Gestern wie heute lieben die Gäste die bodenständige, französisch angehauchte Küche und kommen immer wieder gerne zurück.
Vom Hof auf den Teller
Ein Tag auf Gut Wulksfelde beginnt für Matthias Gfrörer mit einem ausgiebigen Spaziergang. Sein Dackel Grizzly darf ihn dabei begleiten. Die morgendliche Runde führt die zwei oft auch ins angrenzende Waldstück. Dort wachsen prächtige Wildkräuter, die der Koch direkt einsammelt und später in der Küche verarbeiten wird.
Sowieso setzt er am liebsten das ein, was die Umgebung und das Bioland-zertifizierte Gut zu bieten haben. Vom Ei bis zum Huhn, vom Kürbis bis zur Chutney, vom Ferkel bis zur Wurst kommt alles vom eigenen Hof. So ist der erste Gast in der Küche auch meistens Gärtner Oliver, der erntefrisches Gemüse bringt. „Ich sehe es als positiven Druck, dass ich zwangläufig mit dem arbeiten ‚muss‘, was geliefert wird“, sagt Matthias Gfrörer. In der Gutsküche wird eben das verarbeitet, was der Hof gerade liefern kann. Und zwar Nose-to-Tail und Leaf-to-Root! Für Matthias Gfrörer und sein Küchen-Team ist das kein Problem. Sie sehen es als Herausforderung.
Die Gutsküche orientiert sich also am Anbauplan des Gutshofs. „Mir ist es lieber, der Saison gerecht zu werden, als irgendwelchen Trends hinterherzujagen“, sagt der Küchenchef. Mit seiner Bodenständigkeit bezieht er eine klare Position. „Sicher, ein Stern oder eine Mütze an der Tür wären schon schön, aber die Bewertung sollte doch eher durch zufriedene Gäste und Mitarbeiter erfolgen. Das ist mir wichtiger als irgendeine Auszeichnung“, sagt er so dahin. Dabei hat Matthias vor seiner Gutsküchen-Zeit überwiegend in Sternerestaurants gewirkt. Hier scheint jemand seine Passion gefunden zu haben.
Leitbild à la Picasso
Grundstock dafür, dass das Küchen-Team mit besagten Herausforderungen selbstsicher umgehen kann, ist wohl nicht zuletzt die Ausbildung in der Gutsküche, zu der auch der Gang zum Schlachter gehört. Die Tiere wachsen auf dem Gut heran und werden, wenn es Zeit ist, vom Schlachter abgeholt. „Ich will, dass unsere Azubis diesen Prozess miterleben. Das ist wichtig, um Lebensmittel tierischen Ursprungs entsprechend wertzuschätzen und sie mit Respekt und Demut einzusetzen“, sagt der Küchenchef.
Die Gutsküche verfügt über einen eigenen, für Gäste und Besucher ebenso einsehbaren Reiferaum. Darin lagern Schweine und Hühner, bis sie in der Küche zubereitet oder zu Wurst weiterverarbeitet werden. Was die heimatliche Küche betrifft, ist die Gutsküche schon fast virtuos unterwegs. Daher ziert der Leitspruch „Learn the rules like a Pro, so you can break them like an Artist” nach Pablo Picasso nicht nur die Küche, er wird von allen im Team tatsächlich gelebt.
Die Kunst des Handwerks
Für die Kunst am Herd setzt Matthias Gfrörer auf Reduktion. „Ich will mich nicht hinter einer langen Einkaufsliste, schrillen Farben oder auffälligen Formen verstecken. Wir konzentrieren uns lieber auf das Wesentliche: Lebensmittel, so pur wie möglich“, betont der Koch. Statt vieler Komponenten sollen wenige Produkte in allerbester, weitestgehend naturbelassener Qualität die Gäste überzeugen. „Die Kunst besteht nicht darin, etwas hinzuzufügen. Es geht darum, den Moment zu erkennen, wenn nichts mehr hinzuzufügen ist.“ Dafür sei es wichtig, dass die Grundprodukte bereits auf den Punkt hervorragend sind. Mit dem, was der Bioland-Hof zu bieten hat, scheint die Philosophie aufzugehen.
„Dass wir Bio-zertifizierte Lebensmittel einsetzen, ist für mich eigentlich Understatement, ich beharre aber nicht dogmatisch darauf“, betont der Koch. „Lieber ist mir, dass ich durch die Wahl meiner Lieferanten, kleine Betriebe, die einen super Job machen, unterstütze.“ Dafür zahlt er auch mal höhere Preise – und sieht es als Investition in eine langfristige, partnerschaftliche Zusammenarbeit.
Matthias Erfolgsrezept: Küchen-Marketing
Matthias Gfrörer ist ein Freund der ganzheitlichen Verwertung von Lebensmitteln. Deshalb bietet er seit einiger Zeit auch selbstgemachte Chutneys, Senf, eingemachte Zitrone oder Knoblauch an. Aktuell sind es 20 Produkte aus dem, was Hof und Küche zu bieten haben. Die Gäste können sich so ein Gläschen „Gutsküche“ für zu Hause mitnehmen. Eine kluge Marketing-Aktion, damit die Gäste das Restaurant möglichst lange in Erinnerung behalten. „Gut zu kochen allein reicht heute nicht mehr. Gastfreundschaft muss auch nach Verlassen des Restaurants fortgesetzt werden“, ist Matthias Gfrörer überzeugt.
Sowieso ist der Koch recht umtriebig, schreibt Bücher und tritt in Kochshows auf. Auf seinen Social Media Kanälen zeigt er außerdem, wie die Hühner auf Gut Wulksfelde wohnen und lädt dazu ein, den Lebenszyklus der Kürbisse und Kartoffeln von der Saat bis zum Gericht mitzuerleben. „Mit dem Hof haben wir unglaubliches Glück und eine Spielwiese für diverse Geschichten, die wir erzählen können“, begeistert der Koch sich. Er ist überzeugt, dass Marketing aus der Küche heute mehr denn je das wirtschaftliche Überleben der Gastronomie fördert. „Dazu zählt eben auch, dass wir darüber sprechen und zeigen, was wir machen. Ich würde auch lieber den ganzen Tag am Herd stehen und nur kochen, aber das ist heute einfach nicht mehr möglich. Als Koch bist du Teil einer ganzheitlichen Inszenierung. Das erwarten die Gäste.“