In der Küche arbeitet oft ein wildes Potpourri aus Menschen, da prallen unterschiedlichste Kulturen aufeinander. Wenn es gut läuft, entsteht aus der zusammengewürfelten Mannschaft ein Team, eine Fusion, und damit etwas Neues und Großes. Genauso verhält es sich mit der Fusionsküche.
Fusion steht für die Verschmelzung kultureller Prägungen und Fusionsküche schafft es eben, verschiedene Stilrichtungen und Komponenten, die auf den ersten Blick wenig miteinander gemein haben, auf einem Teller zusammen zu bringen. Fusionsküche stößt die Tore zur Welt weit auf und steht für Genuss gewordene Globalisierung.
In Zeiten, in denen jeder schon überall war, hat die Verschmelzung von verschiedenen Kulturen in einem Gericht etwas Befreiendes. Fusionsküche, das ist ein kulinarischer Melting Pot, eine Art des Koches, bei der (fast) alles erlaubt ist, was schmeckt. Denn die Küchen der Welt existieren friedlich nebeneinander.
Ursprung der Fusionsküche
Heute steht die Fusionsküche für die Verarbeitung scheinbar nicht zueinander passender Zutaten in einem Gericht. Die Kochwelt entdeckt die Fusionsküche gerade für sich wieder – neu ist sie aber nicht. Kriege, Migration und Reiselust sorgen seit jeher dafür, dass Kulturen und Geschmäcker fusionieren.
Der Begriff „Fusionsküche“ kam erstmals in den 1980er Jahren auf. Mit Beginn der 1990er begann dann ihr Siegeszug. Doch nicht nur in den westlichen Gefilden fand man Gefallen an der asiatischen Küche und interpretierte sie neu. Parallel versuchten sich ebenso in Asien Kollegen an der Verschmelzung der Kulturen. Dabei könnten gerade die asiatische und die europäische Küche kaum unterschiedlicher sein. Während in der japanischen Küche alles entfernt oder weggelassen wird, das den ursprünglichen Geschmack stört, sind intensive Aromen und Gewürze wie Knoblauch oder Pfeffer typisch für die europäische Küche.
Fusionsküche: Erweiterung des (Koch-)horizonts
Zu den in unseren Gefilden besonders beliebten Beispielen für Fusionsküche zählen der Apfelstrudel, der sich aus der türkischen Baklava entwickelte oder die Currywurst, eine Fusion aus klassischer deutscher Bratwurst, amerikanischem Ketchup und indischem Currypulver. Cross-over Küche par excellence eben.
Bei Yoshizumi Nagaya kommt Fusionsküche natürlich deutlich feiner daher. Er gilt als einer der bekanntesten Fusionsküchenmeister und versteht es wie kaum ein anderer, japanische Küchentechniken und europäische Aromen und Düfte in Vollendung zu vereinen.
Im Jahr 2000 kam der aus Japan stammende Koch mit seiner Familie nach Europa, legte Stationen im „Edo“ in Düsseldorf, im „Nobu“ in Mailand und im „Kyoto“ in Dortmund ein, um dann doch nach Düsseldorf zurück zu kehren. Die Stadt gilt als kleines Japan Deutschlands und genau hier eröffnete Yoshizumi Nagaya zusammen mit seiner Frau Jun 2003 mitten im Zentrum des japanischen Viertels das nach ihm benannte Restaurant Nagaya. Das Nagaya ist ein nach japanischer Art typisches Ryotei, was so viel heißt wie „geschmackliche und ästhetische Perfektion“.
Kaiseki – japanisches Äquivalent zur Haut Cuisine
Fusionsküche wollte der Küchenchef damals eigentlich gar nicht anbieten. „Das war eher dem Umstand geschuldet, dass den Deutschen die klassische Kaiseki-Küche einfach nicht schmecken wollte“, erinnert Yoshizumi Nagaya sich.
Der Verzehr eines Kaiseki, bei dem die Gäste in guter Gesellschaft zusammensitzen und Speisen auf höchstem Niveau genießen, soll ein sinnliches, metaphysisches Erlebnis sein. Viel mehr also als schlichte Energiezufuhr. Von der japanischen Alltagsküche mit Teppanyaki, Sushi und Sashimi unterscheidet die Kaiseki-Küche sich insbesondere durch die Hochwertigkeit der Zutaten und die Komplexität in der Zubereitung.
Charakteristisch sind die sehr milden Aromen der Gerichte und eine leichte Bekömmlichkeit. Jahreszeitliche Inspirationen und die Verwendung bester, saisonaler Zutaten sind dabei ebenso typisch wie aufwendige Speisenarrangements nach ikabanischer Art. Blüten- und Blättermuster zieren die Teller und spiegeln die Jahreszeiten wider. Entsprechende Motive sind beispielsweise echte Kirschblüten und -blätter im Frühling. Sommerlich wird es mit Früchten wie Yuzu und Pfirsich. Im Herbst überwiegen Tannenzapfen, rote Ahornblätter oder Piniennadeln. Symbolisch stellen Rettich und Reis den Winter auf dem Teller dar. Farblich und thematisch ist für die Darreichung auch eine passende Auswahl des Geschirrs wichtig. Ton, Porzellan, Bambus und Lackwaren fungieren als Leinwand der akribisch arrangierten Speisen.
Fusionsküche nach Gusto der Weltbürger
Die gestalterischen Elemente der Kaiseki-Küche sind bei Yoshizumi Nagaya geblieben. Für die Wahl der Zutaten orientiert er sich aber zunehmend am Geschmack der Deutschen. „In der Fusion aus beiden Richtungen habe ich mich selbst gefunden“, schwärmt der Koch. „Was ich heute mache, ist weder japanisch noch deutsch, sondern mehr der Nagaya-Style. Das macht mir auch viel mehr Spaß und entspricht meiner Art des Kochens.“
Aus der Komplexität der europäischen Küche und der Philosophie der japanischen Kochkultur mit ihrer Reduktion und Klarheit hat Yoshizumi Nagaya einen ganz eigenen Stil für seine Küche kreiert. Regionale Produkte wie Rote Beete, Spargel oder rohen Schinken kombiniert er mit typisch japanischen Komponenten und bereitet sie mit Hilfe japanischer Kochtechniken, wie dem Ausbacken im Tempurateig, zu.
So bringt er in der Spargelsaison, das regionaltypische Spitzengemüse zusammen mit geräuchertem Schinken und Shiso ausgebacken im leichten Tempurateig auf den Teller. Den Spargel lässt er dabei roh. Den Tempurateig bereitet er aus Weizenmehl, Wasser, Natron, Eigelb und – ganz wichtig – Eiswürfeln zu. „Alternativ zum Tempura kann auch Lauchasche zum Panieren eingesetzt werden. Das ergibt ein schönes Farbspiel“, empfiehlt Yoshizumi Nagaya. Dazu serviert er eine traditionelle Kimisu-Sauce aus Eigelb, Reisessig, Mirin und Sake, die dem Gast nach Nagaya-Art als Espuma im ausgeblasenen Ei an den Tisch gebracht wird. „Damit wir die Eier nicht einzeln ausblasen müssen, versehen wir sie mit einem kleinen Loch und stellen sie bei Unterdruck in den Kombidämpfer“, verrät Yoshizumi Nagaya. „Die Eier laufen so von allein aus.“
Japanischer Purismus und europäische Haut Cuisine
Für seinen Signature Dish, ein Gänseleber-Bonbon, fusionieren Frankreich, Deutschland und Japan. Dafür streicht der Koch feine Foiegras dünn auf eine Folie, drapiert darauf akkurat ein Rote-Beete-Gel aus Portwein, Rotwein, Madeirawein und Gelatine und bestreut die Schichten mit Haselnuss-Krokant. Anschließend wird die Kombination ohne Lufteinschlüsse fest zusammengerollt und kühl gelagert. Aus der Rolle schneidet er Scheiben und richtet diese auf Plättchen aus karamellisiertem Rote-Beete-Pulver an. Mit Haselnuss-Malto und essbaren Blüten dekoriert er den Teller.
Yoshizumi Nagaya findet mit dem Wagyurindfleisch aus Europa die Fusion schon in einer Zutat. Für seine Interpretation der deutsch-japanischen Fusionsküche salzt und mariniert er das Fleisch zusammen mit Kirschblättern für zwei Tage unter Vakuum. Dazu kombiniert der Koch Erbsenpüree, japanische Dicke Bohnen, Shitakepilze, die er mit Sake und Salz geschmorrt, Zuckerschoten, Reiscracker und japanischen Relish. Für den Gast vereint er die unterschiedlichen Komponenten zu einem meisterlichen Zusammenspiel aus Texturen und Aromen.
Allein durch das Anrichten nach dem aufwendigen Kaseiki-Konzept braucht es sehr viele Handgriffe. Deshalb arbeiten im Nagaya sechs Mitarbeiter in der Küche. Ganz der japanischen Esskultur entsprechend genießen die Gäste zehn Gänge. Das Menü stellt der Meister jeden Monat neu zusammen. Inspirieren lässt er sich dabei vor allem von jüngeren Kollegen, die die Trends der ganzen Welt nach Hause holen – und ganz simpel bei der Internetrecherche. „Zum Reisen fehlt mir einfach die Zeit. Das muss ich anderen überlassen“, sagt Yoshizumi Nagaya bescheiden. Seit Jahren ist er nicht in seiner Heimat Japan gewesen, entsprechend groß ist sein Fernweh.
Diese Sehnsucht nach Japan lebt Yoshizumi Nagaya in seinem zweiten Restaurant aus, das er klassisch nach Kaiseki ausgerichtet hat. „Im Yoshi kochen wir nach japanischer Tradition“, sagt der Koch. „Für mich hat es aber auch den Vorteil, dass ich die japanische Art zu Kochen weiter praktizieren kann und sie nicht verlerne.“