Wann fing der Irrsinn eigentlich an? „Filet ist das beste Stück Fleisch vom Tier!“ – wer hat sich das ausgedacht? Ein Glück, dass viele Köche neben den sogenannten Edelstücken seit einigen Jahren auch Leber, Niere oder Milz wieder einen Platz auf der Karte einräumen. Innereien zu verwerten ist nicht nur nachhaltig und wirtschaftlich sinnvoll, sondern sorgt auch für Abwechslung. Eine, die sich mit den „inneren Werten“ bestens auskennt und für beste Qualität sogar selbst schlachten geht, ist Christina Steindl. Seit Frühjahr dieses Jahres ist sie die neue Küchenchefin im Restaurant des Verwöhnhotels Kristall in Pertisau am Achensee in Österreich.
Die Zubereitung von Innereien ist Christinas Spezialität. Das meiste dazu hat sie sich selbst beigebracht – oder von fachkundigen Älteren im Dorf abgeschaut und dann für ihre Küche adaptiert. Nicht viele Köche kennen sich bei Innereien noch aus, denn das Wissen gerät zunehmend in Vergessenheit. Christina möchte dieses Wissen um die Innereien und ihre Zubereitung erhalten, denn für sie ist es Teil der Kochkultur. Außerdem entspricht es ihrem Sinn für eine nachhaltig ausgerichtete Küche, auch diese Teile des Tieres zu verarbeiten, wie sie betont.
Innereien mit Herz und Nieren
Innereien, die damals selbstverständlich mit verwertet und irgendwann zum Arme-Leute-Essen degradiert wurden, gelten heute als Delikatesse. Die Akzeptanz für Nieren, Kutteln und Magen auf dem Teller ist dennoch gering. Ein Großteil der Innereien landet stattdessen in der Wurst oder im Tierfutter. In den USA und England gilt der Verzehr von Innereien sogar als Tabu. Dabei sind sie dank ihres hohen Vitamin- und Mineralstoffgehalts und geringem Fettanteil bestens für eine gesunde Küche geeignet.
Allerdings sollten Innereien aufgrund ihrer leichten Verderblichkeit nur von zuverlässigen Partnern bezogen und frisch verarbeitet werden. Frische Ware lässt sich an einer leicht feuchten, glänzenden oder schimmernden Oberfläche der Organe erkennen. Unangenehmer Geruch und eine Farbveränderung weisen hingegen auf verdorbene Ware oder gar kranke Tiere hin. „Es braucht schon gute Grundkenntnisse von Innereien und ihrer Beschaffenheit“, sagt auch Christina Steindl. Wer sich aber an die Delikatessen herantraut, kann seinen Gästen extravagante und außergewöhnliche Gerichte kredenzen.
„Einige Gäste sind erst mal skeptisch bei Gerichten mit Innereien wie Herz, Lunge oder Hirn. Sie kennen den Geschmack und die Konsistenz nicht, entsprechend wissen sie diese Lebensmittel oft nicht zu schätzen“, führt Christina aus. Sie sieht es daher als ihre Aufgabe, die Hemmschwelle für die ungewohnten Gerichte zu senken. Nach anfänglichem Zögern wagen Christinas Gäste sich dann doch an die geröstete Leber oder die Kalbskopfterrine heran – und sind begeistert. Viele kommen extra dafür wieder. „Es ist schon irgendwie lässig, wenn du einem Gast etwas bieten kannst, das er woanders nicht bekommt“, sagt Christina stolz. Innereien seien ihr USP (Unique Selling Point) und „typisch Christina“.
Auf zur Schlachtbank
Typisch ist auch die eigenwillige Art der Küchenchefin, die sich selbst als Handwerkerin bezeichnet und von den Ravioli bis zum Beuschel am liebsten alles selbst macht. So wundert es nicht, dass sie auch beim Schlachten gerne selbst Hand anlegt. Ihr Vater, der Metzger von Beruf war, weckte mit seinen Erzählungen ihr Interesse dafür. Daraufhin wollte sie es selbst versuchen und fragte beim benachbarten EU-Schlachthof an, ob sie beim Zerlegen behilflich sein dürfte. Schon bald ergaben sich durch das gemeinsame Schlachten weitere Bekanntschaften mit Metzgern aus der Gegend, unter anderem mit der Biometzgerei Juffinger, wo Schlachtung, Zerlegung, Verarbeitung und Veredelung unter einem Dach stattfinden. Die Tiere bekommen die Juffingers vom Biobauern aus der Region geliefert.
Für den Vertrieb an Gastronomen ist bei Juffinger der Fleischsommelier Gregor Eisenbeutl zuständig ist. Er ist ein Meister seines Fachs und Christina darf ihm von Zeit zu Zeit beim Schlachten über die Schulter sehen. „Wenn man mit eigenen Augen sieht, wie schnell das Leben vorbei sein kann, bekommt man ein ganz anderes Gefühl für den Wert des Lebens. Mich erdet das ungemein“, sagt die Köchin, für die das Selbstschlachten auch etwas mit Demut und Ehrfurcht vor dem Leben und dem Tier zu tun hat.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Projekt „Milchkuh 2.0“, für das die Köchin sich engagiert. Milchkühe werden relativ langsam aufgezogen, was sich positiv auf die Struktur ihres Fleisches auswirkt. Das haben die Initiatoren des Projektes erkannt: Die alten Kühe, die ihr Leben lang Milch gegeben haben, dürfen es sich noch mal so richtig gut gehen lassen und werden im „Ruhestand“ ordentlich aufgemästet. Dabei setzen sie intramuskuläres Fett an. Auf die Schlachtbank geht es für die Tiere aber dennoch. Anschließend reift das Fleisch drei Wochen nach. „Ein tiefer Umami-Geschmack und die hervorragende Struktur des Fleisches der Milchkuh 2.0 sind vergleichbar mit Wagyu Beef“, sagt Christina.
Gute Küche will Teile haben
Ihren Respekt zollt Christina dem Lebewesen auch damit, dass sie es so weit wie möglich verarbeitet, wozu ebenfalls die Innereien zählen. „Es wäre viel zu schade, so etwas Gutes wie Leber oder Bries nicht in der Küche zu verwenden“, betont Christina. „Bei mir erleben die Gäste einerseits Gerichte mit Innereien wie sie sie von früher, vielleicht von den Großeltern, kennen. Manchmal interpretiere ich diese Gerichte auch mit modernen Komponenten auf meine eigene Art.“
Eine solche Abwandlung vom Klassiker ist die Lammleber neben Lammfilet, -grammeln und -konfit und dazu Rote Beete, Mais Joghurt und Kaffee. Dieser Hauptgang wurde beim Vorfinale zum Koch des Jahres als bestes Hauptgericht prämiert.
Für die traditionelle geröstete Leber spült Christina das Organ erst mal eine Stunde lang mit kaltem Wasser, um die Giftstoffe zu entfernen. Anschließend zieht sie die Haut ab, was nach dem Spülen deutlich leichter gehen soll, und löst die Membran. „Das ist wichtig, damit die Leber später nicht zäh wird“, betont die Köchin. Nun schneidet sie die Leber in dünne Scheiben und entfernt mögliche Äderchen. Die Leberscheiben werden nach der Vorbereitung in der Pfanne heiß angeröstet, bevor Christina die Pfanne mit Jus auffüllt und alles mit Majoran, Salz und Pfeffer abschmeckt. „Dazu gibt es Schmelzzwiebeln, Kartoffelpüree und Sauerkirschen, fertig. Ein feiner Baby Leaf Salat und frische Rösti passen aber auch gut“, sagt Christina.
Skurrile Delikatesse
Eines der ungewöhnlichsten Gerichte auf Christinas Karte sind gebackene Stierhoden, die sie in Milch auskocht, in Scheiben schneidet und dann mit Mehl, Ei und Bröseln paniert ausbäckt. „Durch diese Zubereitung wird das Fleisch ganz zart und erinnert geschmacklich an Bries oder Kräuterseitlinge“, weiß die Küchenchefin.
Noch aufwendiger und mutiger ist die Kalbskopfterrine à la Christina Steindl. Die Idee stammt von ihrem ehemaligen Chef. Bis zu einer Woche Vorbereitungszeit braucht es bis die Terrine servierfertig ist. „Ich bekomme die Kalbsmaske vom Metzger auf Anfrage. Normalerweise wird daraus nur noch Hundefutter gemacht, aber ich bereite ein geniales Gericht damit zu“, schwärmt die Köchin. Zuerst rasiert sie die Kalbsmaske, bevor sie sie 24 Stunden lang pökelt. „Anschließend koche ich sie mit allem Drum und Dran, bis sie ganz weich ist. Vor allem die Zunge und die Bäckchen geben ein tolles Fleisch ab“, betont Christina. Anschließend schneidet sie das Fleisch in feine Würfel. Das mache die weitere Verarbeitung leichter. Die Masse muss nun gepresst werden, wobei Christina die gallertartige Flüssigkeit aufbewahrt. Das Fleisch und die gelatinehaltige Flüssigkeit gibt sie dann zum Auskühlen zusammen in eine Form. „Diesen Prozess wiederholt sie zwei- bis dreimal, bis alles schön fein ist. Vor dem Servieren schneidet sie die farceartige Masse in Scheiben, richtet diese entweder direkt auf dem Teller an oder bäckt sie vorher noch mal in Fett aus.
Die Neugier, mit der Christina Steindl an die Arbeit mit Innereien herangeht, ist ansteckend und inspirierend. Vielleicht finden sich also demnächst mehr solcher Gerichte auf den Speisekarten landauf, landab – für mehr Respekt vor dem Lebewesen und mehr Vielfalt in der Welt der Kulinarik.
Der Artikel erschien zuerst in der Küche Nr. 8