Deutschland geht der Fisch aus

Deutschland geht der Fisch aus

Jedes Jahr verzehren wir mehr Fische und Meeresfrüchte. Eiweiß ist gesund – das wusste Mutti schon – und in Zeiten, in denen immer mehr Menschen zumindest zum Teil auf Fleisch verzichten wollen, ist Fisch auf dem Teller eine delikate Alternative. So weit, so gut. Die steigende Nachfrage nach Fisch hat aber auch zur Folge, dass die natürlichen Quellen knapp werden.

Die Überfischung der Meere ist ein Problem mit weitreichenden Auswirkungen. Da uns vor allem Raubfische, also jene, die andere Fische fressen, am besten schmecken, fördern wir mit der industriellen Fischerei ein Ungleichgewicht. „Indem wir Hecht, Forelle oder Zander in großem Stil aus dem natürlichen Kreislauf entnehmen, steigt die Population der kleineren Fische, die sie sonst verzehren würden, exponentiell an“, weiß Dr. Gerd Kraus, Leiter des Instituts für Seefischerei in Bremerhaven. „Das hat zur Folge, dass deren natürliches Nahrungsaufkommen wiederum deutlich schneller verbraucht wird. Es bleiben also für die nächste Stufe der Ernährungspyramide weniger Tiere und deren Futterquellen können ihrerseits exponentiell stark wachsen. Diese wellenförmige Populationsveränderung, die durch die industrielle Fischerei bedingt wird, hat einen weitreichenden Einfluss auf den gesamten Lebensraum der Fische und Meerestiere und damit auch auf Natur und Umwelt.“

Umwelteinflüsse von Überfischung sind verheerend

Der Verlust der Bio-Diversität und eine erhöhte Angreifbarkeit des Ökosystems sind Folgen dieses Ungleichgewichts. Um dem entgegenzuwirken, erforschen Dr. Gerd Kraus und seine Kollegen im neu gebauten Johann Heinrich von Thünen-Institut unter anderem die Auswirkungen von Fischerei und Fischereiökologie. Darauf basierend sprechen sie Fangempfehlungen für die europäischen Fischereibetriebe aus.

Erst Anfang des Jahres ist das Institut mit Sack und Pack sowie einem Großteil der Belegschaft von Hamburg nach Bremerhaven umgesiedelt. Als eine der ersten Gruppen durften wir im Zuge des zweitägigen Seminars von Transgourmet Seafood zum Thema „Nachhaltigkeit & Fisch“ an einer Führung durch das Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei teilnehmen.

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Bedarf durch Fisch aus Aquakultur decken

Als wirtschaftlichste Alternative zur Wildfangfischerei hat sich die Aquakultur herauskristallisiert. Dabei unterscheidet man zwischen extensiver, semi-intensiver und intensiver Aquakultur. Bei der extensiven Aquakultur wird ausschließlich mit Naturnahrung gefüttert. Dieses Verfahren ist vor allem bei Muscheln oder Austern üblich. Fischen aus semi-intensiver Aquakultur wird ein Supplementfutter zugefüttert. Lachs und Shrimps stammen typischerweise aus intensiver Aquakultur und werden mit Alleinfuttermitteln ernährt.

Die meisten Aquakulturgebiete befinden sich heute in den oberen Mangrovengebieten, aber auch hierzulande nehmen immer mehr Fischereibetriebe die Herausforderung an. Zu den größten Vorteilen von heimischer Aquakultur zählen die Einsparung langer Transportwege, die daraus resultierende Frische des Fisches und die Schonung der natürlichen Ressourcen. Der Anteil an Fisch aus Aquakulturzucht nimmt jedes Jahr zu. Bis 2030 ist sogar mit einer Verdoppelung der Nachfrage zu rechnen.

Ernährt sich der Fisch in Zukunft von Soja?

Auch Fische, die in Aquakulturen herangezüchtet werden, müssen ernährt werden und Futtermittel, die hauptsächlich aus Fischmehl und -öl bestehen, sind knapp. Am Institut für Fischereiökologie forscht man daher an Alternativen, die dem Futtermittel zugegeben werden können und die den hohen Eiweißbedarf der Fische decken. In ersten Versuchen setzten die Forscher auf Soja. Das allerdings können die Fische aufgrund ihres evolutionsbedingten Ernährungsverhaltens nicht verwerten. „Die Pflanzen enthalten antinutrive Bestandteile wie Phospholit, für das dem Fisch ein Enzym zur Aufspaltung fehlt“, weiß Prof. Dr. Ulfert Focken vom Fischerei-Institut in Bremerhaven. „Erst durch Erhitzen und Zusetzen des Enzyms zum Fischfutter wird die Ernährung der Fische mit Soja als additives Futtermittel möglich.“ Die Ergebnisse dieser Versuche werden zeigen, ob mit Soja die richtige Lösung für die Futterknappheit gefunden worden ist.

Guter Fisch trägt heute Zertifikat

Gesetze zur Regulierung und Lables wie das des Marine Stewardship Council (MSC) leisten ebenfalls ihren Beitrag, um nachhaltig agierende Fischreibetriebe zu fördern und den Fischbestand zu schützen. Das MSC-Siegel sichert die Rückverfolgbarkeit des Fisches über ein dreistufiges Auszeichnungssystem. Ist Fisch im Einkauf mit dem MSC-Siegel gekennzeichnet, müssen sowohl die Fischerbetriebe, als auch die verarbeitende Industrie und der Handel die Auflagen der unabhängigen Umweltorganisation erfüllen. Entsprechend können auch MSC-verarbeitende Gastronomiebetriebe das MSC-Siegel für ihre Speisekarten nur dann verwenden, wenn sie an den regelmäßigen Kontrollen teilnehmen und den Auszeichnungsprozess absolvieren.

MSC verteilt „Vorschuss-Lorbeeren als Ansporn“

In der Kritik steht der MSC immer wieder, da selbst Organisationen, die „nur“ 80 Prozent der Kriterien für die Auszeichnung erreichen, das Siegel bereits tragen dürfen. „Wir verteilen lieber Vorschusslorbeeren und würdigen damit die bisher erbrachte Leistung, statt einen Großteil der Bewerber durch das Testsystem fallen zu lassen“, betont MSC-Referentin Ines Biedermann. „Auf diese Weise haben wir die Betriebe bereits im System, wodurch wir Regularien besser durchsetzen und Auflagen zur Haltung des Siegels erteilen können. Mit Hilfe konkreter Maßnahmenpläne können die Betriebe weiter an sich arbeiten und sich laufend verbessern.“

Gerade diese positiven Anreize statt eines Tadels und das Aufzeigen von Möglichkeiten zur Verbesserung stehen beim MSC im Vordergrund. Zudem soll durch verschiedene Kampagnen und Aktionen vermehrt zur Diskussion angeregt werden. „Wir wollen erreichen, dass Nachhaltigkeit auch für den Gast zum relevanten Thema wird. So kommt das Umdenken erst richtig in Fahrt“, sagt Ines Biedermann. Darüber hinaus strebt der MSC die Zusammenarbeit mit „den großen Entscheidern“ an, denn „ihre Wahl für MSC-zertifizierten Fisch hat globalen Einfluss.“

Transgourmet Seafood trägt MSC- und ASC-Siegel

Während mit dem MSC-Siegel Fisch aus Wildfang zertifiziert wird, zeichnet das ASC-Siegel Zuchtfisch aus. Transgourmet Seafood trägt als Handelsunternehmen sowohl das MSC-, als auch das ASC-Siegel. Transgourmet nimmt damit eine wichtige Vorreiterrolle ein. „Allein der Umsatz von MSC-Kabeljau-Loin und diversen MSC-Matjesfiletprodukten hat bei uns innerhalb eines Jahres über 20 Prozent zugelegt“, sagt Jürgen Bergmann, der bei Transgourmet Seafood für die praktische Umsetzung des Themas Nachhaltigkeit zuständig ist. „Das blaue MSC-Herkunftssiegel stößt nicht nur bei Gastronomen auf positive Resonanz, auch bei den Gästen hat es einen hohen Bekanntheitsgrad.“ Beim Bio-Siegel für Fisch aus Wildfang ist allerdings Vorsicht geboten, denn nur unter aquakulturellen Bedingungen lassen sich die Anforderungen für Bio-zertifizierten Fisch tatsächlich erfüllen.

Dr. Heino Fock vom Thünen-Institut

Akademie als Kompetenzzentrum für Fish & Seafood

Die Akademie von Transgourmet Seafood in Bremerhavener gilt als  Kompetenzzentrum für Fisch und Meerestiere. Hier kommen Fischexperten aus allen Bereichen zu Wort, Fischereibetriebe geben Einblick in ihre Arbeit und Gastronomen haben die Möglichkeit, sich mit ihnen und anderen Kollegen über Fisch aus nachhaltigem Fang auszutauschen. „Die Expertise rund um den Fisch bekommen Gastronomen bei uns in der Transgourmet Seafood Akademie“, sagt Ralf Forner, Geschäftsleiter Transgourmet Seafood. „Dabei ist jedes Seminar anders und lässt sich auf Wunsch um Schwerpunkte wie Kalkulation, Qualitätserkennung, richtiges Filetieren, Sensorikschulungen und und und erweitern.“ Nach Möglichkeit werden auch thematisch passende Betriebsbesichtigungen oder Führungen initiiert. Wichtig ist Ralf Forner dabei, dass am Ende alle gemeinsam daran arbeiten, die Wertschätzung für Lebensmittel wieder zu steigern und das Wissen um gute Produkte sowie die Möglichkeiten für mehr Nachhaltigkeit weiter voranzutreiben.

Nachhaltigkeit als Teil der Unternehmensstrategie

Mit dem Ziel, das nachhaltigste Unternehmen der Branche zu werden, verstärkt Transgourmet Seafood seit der Gründung 2008 das Sortiment um Lebensmittel aus verantwortungsvoller Produktion und nachhaltiger Aufzucht. Dabei spielen auch eine ressourceneffiziente Beschaffung und der Klimaschutz eine entscheidende Rolle. Das Unternehmen befürwortet die Reduzierung der Fangquoten auf Basis wissenschaftlicher Empfehlungen, wie sie vom Thünen-Institut ausgesprochen werden und setzt auf schonende Fangmethoden, mit denen der Lebensraum Meer und seine Bewohner geschützt werden sollen. Zuchtfisch aus biologisch betriebener und kontrollierter Aquakultur wird besonders gefördert, denn gefährdete Spezies oder Fisch aus überfischten Beständen zu listen und zu handeln, käme für Transgourmet Seafood nicht in Frage.

Mittlerweile machen bei den Bremerhavenern nachhaltige, zertifizierte Produkte gut 20 Prozent des gesamten Fischumsatzes aus. Über 250 Produkte mit nachhaltigen Zertifizierungen finden sich bereits im Sortiment und es sollen dieses Jahr noch einige hinzukommen. Ab Oktober sind beispielsweise Garnelen aus extensiver Aquakultur erhältlich, die nach den genannten Kriterien gezüchtet und verarbeitet werden.

Good, better, best – Produkte von Transgourmet Ursprung

Mit der Eigenmarke „Ursprung“ hat Transgourmet schon vor Jahren eine eigene Nachhaltigkeitsmarke eingeführt. Lebensmittel aus dem Ursprung-Sortiment unterliegen strengen Richtlinien und ihre Herkunft ist bis zum Produktursprung rückverfolgbar. Hermann-Otto Lübker aus dem Hasetal ist einer der Ursprung-Produzenten und sein Waller ist schon jetzt berüchtigt. „Für mich ist der Waller der geilste Fisch der Welt!“, sagt Herrman-Otto Lübker. Dabei gilt gerade diese Fischart als eher brackig und muffig im Geschmack. Nicht so der Waller aus dem Hause Lübker. „Wir erreichen durch das Zusetzen effektiver Mikroorganismen und einem Schadstoff bindenden Zeolit-Gesteinsmehl einen reinen Fischgeschmack.“ Das Wasser, in dem seine Fische aufwachsen, probiert Hermann-Otto Lübker sogar regelmäßig. „Das Wasser schmeckt ganz weich und ist ausgesprochen aromatisch. Dem Fisch und seinem Geschmack kommt das zugute. Außerdem verhindern wir so, dass er vor dem Schlachten tagelang gehältert werden muss.“

Dass der Waller ein Sensibelchen ist, durfte Herrmann-Otto Lübker auch bei den ersten Verkaufsversuchen feststellen. Der ursprüngliche Plan war es, die Tiere lebend zu verkaufen. Das bekam aber weder dem Fisch noch seinem Geschmack gut. Jetzt läuft von der Zucht über die Schlachtung bis hin zur Verarbeitung alles aus einer Hand. „Bei uns ist mittlerweile alles möglich: Waller mit Haut, ohne Haut. Ein Knaller ist die Leber! Manch ein Koch steht auch voll auf das Wallerkinn. Wir machen wirklich alles, es braucht nur Abnehmer.“

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Die Herausforderungen nachhaltiger Fischzucht

Afrikanischen Wels aus nachhaltiger Aquakultur bezieht Transgourmet Seafood von einer Erzeugergemeinschaft aus Mecklenburg-Vorpommern. Forelle, Hecht oder Makrele, die Teil des Süßwasserfisch-Sortiments von Ursprung sind, stammen hingegen vom Binnenfischerei-Betrieb Reese in Schleswig-Holstein. Der Familienbetrieb steht immer wieder vor Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. „Die Wertschätzung für Lebensmittel nimmt immer weiter ab“, sagt Birgit Schmidt-Puckhaber, die mit ihrem Mann, Gunnar Reese, den Fischereibetrieb leitet. Ihre Lösung dafür heißt Aufklärung und die Erschließung anderer Geschäftsfelder, um dem Konsumenten die Lebensmittel wieder näher zu bringen. So können Hobbyangler heute ihren Fisch selbst aus dem Teich angeln und beim Räuchern der Fische zusehen.

Transgourmet Ursprung Goldforelle von Reese

Wertschätzung für Lebensmittel wieder erhöhen

„Vielen ist nicht bewusst, dass es mindestens drei Jahre braucht, bis beispielsweise eine Forelle ein entsprechendes Gewicht und eine gewisse Größe erreicht, sodass sie sich verkaufen lässt“, sagt Birgit Schmidt-Puckhaber. In dieser Zeit hegen und pflegen die Reeses und ihr 14-köpfiges Team die Fische und schützen sie vor Fressfeinden wie Ottern oder Reihern, die sich immer wieder an den 140 Teichen zu schaffen machen. „Ein Schwein aus konventioneller Aufzucht hat bereits nach 130 Tagen sein Gewicht für die Schlachtreife erreicht, für ein Huhn rechnet man gerade mal 42 Tage und für ein Rind weniger als 5 Monate“, betont Birgit Schmidt-Puckhaber. „Da sollte die Wertschätzung für den Fisch eine ganz andere sein.“

Die Marge wird für Reeses durch Kooperationen wie mit Transgourmet Seafood tragbar. Damit eine gewisse Menge Fisch zugesichert werden kann, wurden dem Unternehmen  vier Teiche reserviert. „Aquakultur sichert uns zwar eine genauere Planbarkeit, nichtsdestotrotz arbeiten wir aber mit der Natur – schließlich wollen wir Ursprung sein“, betont Birgit Schmidt-Puckhaber. „Wenn die Nachfrage da ist, müssen wir abschätzen, ob wir den Fisch mit 400 Gramm schlachten, oder lieber absagen und warten, bis er sein Idealgewicht von einem Kilogramm erreicht hat.“

Tiergerechtigkeit bei Fischzucht Reese

So wie das Schwein sich auf Stroh und mit Auslauf wohler fühlt als auf nackten Planken liegend, entwickelt der Fisch sich besser, wenn sein Lebensraum zumindest weitestgehend seinen natürlichen Bedürfnisse angepasst ist. Bei Reeses in Plön setzt man dafür die Hechtlarven in Wasserbecken, die mit Kiefernästen bestückt sind. Daran können die Larven sich festsaugen und in Ruhe wachsen.  Beim Thünen-Institut spricht man bei einem solchen Verfahren von „Emotional Enrichment“. Durch eine artgerechtere Aufzucht lassen sich nicht nur die Lebensbedingungen der Tiere verbessern, auch die Hirnaktivität wird zunehmend angeregt. Die Forscher konnten bei entsprechenden Versuchen beobachten, dass die Larven sich dadurch deutlich besser entwickeln und die Qualität der Zellstrukturen zunimmt.

Zwei Tage Seminar – was bleibt?

Zwei Tage Seminar rund um Fisch und Nachhaltigkeit haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Fisch ist eben doch nicht gleich Fisch, das haben die Experten, die zu Wort kamen, mehr als deutlich gemacht. Zu Recht nennt sich die Transgourmet Seafood Akademie Kompetenzzentrum, denn hier wird auf unterhaltsame und praxisnahe Weise Wissen vermittelt, das bleibt.

„Ich wollte mit mehr Wissen rausgehen, als ich mitgebracht habe“, sagt auch Maximilian von Saurma. Er ist selbst erfahrener Gastgeber, hatte mit Fisch bislang aber weniger zu tun. Sein Spezialgebiet ist eigentlich Fleisch, das er im Frankfurter Restaurant Ojo de Agua seinen Gästen kredenzt. Diese werden aber zukünftig vermehrt in den Fischgenuss kommen. Der Gastronom ist spätestens nach dem Seminar davon überzeugt, dass „die Zukunft beim Fisch und nicht beim Fleisch liegt“.

Der Artikel erschien zuerst in der Gastrotel Nr. 4/18

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