Köche leben für den Geschmack. Sie sind Experten auf dem Gebiet, wenn es darum geht, das perfekt passende Produkt für ihre Idee eines Gerichtes zu finden. Da ist Kartoffel nicht gleich Kartoffel und Huhn eben nicht gleich Huhn.
In dieser Hinsicht trifft auf kaum einen Koch die Bezeichnung „produktverliebter Perfektionist“ besser zu als auf Marco Müller. Schon vor seiner Zeit im Sternerestaurant Rutz reizte ihn das Spiel mit außergewöhnlichen Aromen. Wenn der Kräuter-Hans mit prall gefülltem Beutel in die Küche kam und seine frisch gepflückten Wildkräuter präsentierte, nahm Marco die Herausforderung jedes Mal auf Neue an. „Kraut für Kraut haben wir auseinander genommen und überlegt, was sich damit anstellen lässt“, erzählt Marco. Pesto oder frittieren war Hans‘ Vorschläge, doch Marco wollte mehr. Also wurde so lange experimentiert, bis ihm ein „brachial gutes Gericht“ gelang. Wichtigste Voraussetzung dafür war die akribische Auseinandersetzung mit dem Produkt selbst. Seine Liebe zum Detail und der unbedingte Wille, Lebensmittel bis in die Tiefe zu verstehen, sind typisch für den Koch.
Marco Müller – das Wirken des Aromenkünstlers
Ähnlich geht Marco Müller auch heute noch vor: Der ersten Idee für ein Gericht folgt die Suche nach Lebensmitteln, dann die Phase des Experimentierens und abschließend der Feinschliff. Sein Schaffen ähnelt dem eines Malers, der sich für ein Gemälde auf die Suche nach den richtigen Farben begibt und den Pinsel erst zur Seite legt, wenn ihm ein Meisterwerk gelungen ist. Es wundert also nicht, dass x-beliebige Lebensmittel Marcos Ansprüchen selten genügen. „Ich habe keine Lust, mit durchschnittlichen Produkten zu arbeiten“, gibt Marco Müller zu.
„Wir verschwenden heute keine Zeit mehr mit schlechten Produkten!“
Marco Müller, Rutz in Berlin
Was der Handel nicht bedienen kann, beschafft der Koch sich daher selbst. Früher hat er viel Zeit damit zugebracht, Produzenten zuzuhören, die von ihren Waren erzählten. Heute fährt er mit seinem Team direkt selbst zum Hof. „Für eine regional ausgerichtete Küche wie unsere ist es wichtig, dass man sich in der Gegend auskennt und weiß, was wo wächst“, ist Marco überzeugt. Die Zuchtbedingungen, die Art der Tierhaltung, ihre Fütterung und die Schlachtung sowie der Einsatz von Medikamenten und Pestiziden werden genau unter die Lupe genommen. „Ich stelle meine – zugegebenermaßen – kritischen Fragen und wenn ich denke, dass es in die richtige Richtung geht, lasse ich mir Proben kommen“, sagt Marco Müller. „Die Geschichte kann noch so gut sein, taugt aber nichts, wenn das Produkt geschmacklich enttäuscht.“
Neugierig bleiben und immer wieder ausprobieren
In der Rutz-Versuchsküche probiert das Team dann gemeinsam verschiedene Zubereitungsarten mit den Lebensmitteln aus. „Meiner Meinung nach gibt es keine Unterscheidung zwischen A-, B- und C-Stücken, sofern die Qualität stimmt. Mit passenden Garverfahren und der richtigen Zubereitung kann alles genial werden“, betont Marco Müller. Jeder Versuch wird vom Maestro blind verkostet, also ohne, dass Marco weiß, welcher Erzeuger für die Lebensmittel verantwortlich war. Das hilft ihm, eine objektive Entscheidung, reduziert auf Geschmack und Qualität, zu treffen.
„Ich habe mal ein unglaublich gutes Huhn probiert und wollte darum ein Gericht entstehen lassen. Wir haben also die verschiedenen Teile des Huhns in unterschiedlichen Garverfahren getestet. Am Ende haben es Brust und Keule gar nicht auf den Teller geschafft: Für sich genommen waren sie gut, haben mich aber im Gericht nicht vom Hocker gehauen“, erzählt Marco. Stattdessen hat er die Beilagenmöhre in den Fokus gerückt und vom Huhn nur das Herz verwendet, das in einem aromatischen Hühnerhautcrunch gewälzt wurde. Aus der Haut hat er außerdem eine Sauce gezogen und mit dem Hühnerfett eine Estragon-Mayo zubereitet. „Das Gericht war nachher ein Brett!“, so der Koch.
Hat er erst mal einen Partner gefunden, bei dem von der Geschichte des Betriebes über die Zuchtbedingungen bis hin zum Geschmack der Waren alles passt, trifft Marco ganz klare Absprache und vereinbart die Lieferbedingungen. „Das ist wichtig, um eine Zuverlässigkeit gewährleisten zu können“, führt der Koch aus.
Klare Kriterien an die Regionalküche definieren
Die regionale Küche verdient laut Marco Müller mehr Aufmerksamkeit, schließlich habe sie einiges zu bieten: Regionaltypische Gerichte auf der Speisekarte sorgen für mehr Individualität und weniger Vergleichbarkeit der landesweiten Gastronomie. Außerdem tragen sie dazu bei, eine neue deutsche Esskultur zu erschaffen. „Im ersten Schritt bedeutet Regionalität auf der Karte zusätzliche Arbeit“, gibt Marco zu. „Aber es lohnt sich, bewusst Lebensmittel zu verarbeiten, die aus der Region kommen und vielleicht nicht jedem bekannt sind.“
Gastronomen, die ihre Küche regional ausrichten und dies entsprechend ausloben möchten, sollten nachvollziehbare Kriterien dafür definieren. Welchen Anteil sollen Lebensmittel aus der näheren Umgebung ausmachen und aus welchem Umkreis sollten sie maximal kommen? Welche Standards müssen am Hof erfüllt werden, damit sie für die eigene Küche in Frage kommen? Die Antworten auf diese Fragen, helfen bei der Auswahl passender Partnerbetriebe und bieten auch den Gästen die Chance, die Auslobung einer Regionalküche ernsthaft nachzuvollziehen. Das wiederum stärkt die Glaubwürdigkeit des Restaurants.
Vertrauensvolle Zusammenarbeit
Marcos Netzwerk an landwirtschaftlichen Partner ist mittlerweile gut aufgestellt. Die enge Zusammenarbeit mit den Erzeugern bietet ihm und seinen Mitarbeitern die Möglichkeit, darauf einzuwirken, wie und was angebaut, beziehungsweise gezüchtet, wird. Außerdem hat es großen Einfluss auf die Wertschätzung der Waren, wenn der Koch – und in letzter Konsequenz auch der Gast – weiß, woher die Waren kommen.
Seit einigen Jahren arbeitet Marco eng mit Matthias und Susanne Engles zusammen. Das Paar erfüllt mit seinem Fischzuchtbetrieb in Rottstock die Kriterien des Kochs: Die Besatzdichte je Gewässer ist mindestens 40 Prozent geringer als üblich, die Wasserqualität ist sehr hoch, die Futtermittel stammen aus Europa und die Fische haben überdurchschnittlich viel Zeit zum Wachsen. „Es reicht nicht, sich nur das Endprodukt anzusehen. Auch das Drumherum muss stimmen“, sagt Marco.
Weil bei den Engels aus Marcos Perspektive alles richtig gemacht wird, garantierte er ihnen sogar die Abnahme des Bestandes eines ganzen Teiches. Die Entscheidung festigt die Zusammenarbeit, gibt den Engels Sicherheit bei der Finanzierung und zeigt deutlich, welches Vertrauen der Koch in die Produkte setzt. Marco bezieht von den Engels unter anderem 80-Gramm-Forellen. „Normalerweise sind die Tiere, die wir anbieten, erst mit 300 bis 400 Gramm schlachtreif, aber Marco schätzt das zarte Filet der kleineren Fische“, weiß Susanne Engels. „Wichtig für eine Verabredung wie mit Marco ist, dass es für beide Seiten preislich fair bleibt. In der späteren Wachstumsphase wächst der Fisch schneller, er braucht weniger Futter und Energie. Deshalb muss die 80-Gramm-Forelle verhältnismäßig mehr kosten“, führt sie aus. Sie kennt Marco schon lange und weiß, dass er sich im Vorfeld viel Zeit nimmt, um den gesamten Prozess zu hinterfragen. „Marco kommuniziert seine Haltung und seine Ansprüche konsequent. Auf diese Weise begegnen wir uns stets auf Augenhöhe. Respekt und Vertrauen sind die Basis unserer Zusammenarbeit.“
Gegen den Strom ans Ziel geschwommen
Im Rutz wurde von Anfang an regionale Küche kredenzt. Achtzehn Jahre ist das mit dem Anfang nun her. „Damals verstanden die Leute unsere Idee einer Regionalküche, die die deutsche Esskultur weiterdenkt und dabei auch deutsche Winzer im Fokus hat, nicht. Es galt als chic, französisch oder italienisch essen zu gehen und die einschlägigen Bewertungsgremien würdigten die francophile Küche entsprechend mit Auszeichnungen“, beschreibt Marco die Situation im kulinarische Gefilde Berlins in den frühen 2000ern. „Wir hätten wohl schon früher den ersten Stern an der Tür feiern können, wenn wir zu der Zeit mit dem Strom geschwommen wären. Aber wir glaubten einfach an unser Konzept – und haben es durchgezogen.“ Gut, dass Marco Müller seinen Prinzipien treu geblieben ist, denn er trägt wesentlich dazu bei, das Wissen um gute Lebensmittel zu erhalten. So wird die kulinarische Welt durch Köche wie ihn um einiges interessanter.
Der Artikel erschien zuerst in der Küche Nr. 11