Fabian Günzel im Restaurant Aend

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Maximal drei Komponenten auf dem Teller, kein Chichi wie weiße Tischdecken und selbst eindecken müssen die Gäste auch. Mit dem klassischen Fine Dining hat Fabian Günzels aend recht wenig zu tun. Die Gäste rennen ihm trotzdem mittags und abends die Bude ein. Dazu haben sie von Montag bis Freitag Gelegenheit. Am Wochenende ist das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Lokal geschlossen – auch das wider aller gängigen Regeln der gehobenen Gastronomie.

Mit dem Standort des aend schwimmt Günzel ebenfalls gegen den Strom: Dem sechsten Wiener Bezirk gab er den Vorzug gegenüber großen Gastronomiemetropolen wie London, Berlin oder New York. „Der sechste Wiener Bezirk ist das Kreuzberg von Wien: Für die Mitte leistbar und mit jeder Menge Entwicklungspotenzial“, erkannte Fabian Günzel. „Wien ist eine Weltstadt. Hier passiert gerade viel, außerdem ist es sauber und gepflegt, in Sachen Stadtentwicklung tut sich einiges und neue Leute ziehen her.“ Beste Voraussetzungen also.

La Rébellion

Die Revolution beginnt, indem einer das bestehende System in Frage stellt. Diejenigen, die es dann durchziehen, gelten als Rebellen, als unbequeme Querulanten – solange bis ihr Andershandeln von Erfolg gekrönt ist. Gelungen ist das dem Erfurter Fabian Günzel. Im März 2018 eröffnete er mit dem aend im sechsten Wiener Bezirk sein erstes eigenes Restaurant, das ganz bewusst mit den Konventionen und Normen der Sternegastronomie bricht. Nackter Estrichboden, dunkelgraue Wände und freihängende Glühbirnen an der gewölbeartigen Decke umrahmen die schlicht-eleganten Vollholzmöbel. Beim ersten Betreten des Restaurants im Industrial Chic wird schnell klar, dass für den Gastgeber Funktion Priorität hat.

Vor dem Schritt in die Selbstständigkeit machte der Haubenkoch Station beim Who-is-Who der gehobenen Gastronomie: Als besonders prägend nennt Günzel die Arbeit mit Christian Jürgens im Restaurant Überfahrt und mit Silvio Nickols im Palais Coburg. Zum Netzwerken war die Position des Küchenchefs im Sofitel ideal. Fabian Günzel hat sich Schritt für Schritt nach oben gearbeitet. „Es geht mir auf den Sack, dass es immer heißt, Gastro lohne sich nicht. Wenn du bereit bist, für den Erfolg zu buckeln, stellt sich der auch ein“, ist Günzel überzeugt.

„Gastronomie ist moderner Sklavenhandel!“

Die Branche beschreibt das Enfant terrible als „modernen Sklavenhandel“. „Gastronomie ist harte Arbeit. Da gibt es nichts schön zu reden!“, betont Fabian Günzel.  „Nicht jeder ist dafür geschaffen. Aber diejenigen, die dazu bereit sind, können es weit bringen.“ Der Koch, der seit der Eröffnung seines Restaurants aend in der Szene wie ein Shootingstar gefeiert wird, würde sich dennoch immer wieder für seinen Beruf entscheiden. „Wenn du einen Job machst, für den du brennst, dann kannst du nicht ausbrennen“, fasst er es zusammen.

Der volltätowierte Sunnyboy ist ein Perfektionist und sorgsamer Geschäftsmann, der sich vor der Eröffnung des aend eine Auszeit nahm, um einen ausgeklügelten Businessplan zu entwerfen. „Ich wollte nichts dem Zufall überlassen“, betont Fabian Günzel. „Du brauchst ein klares Bild vor Augen, um einen erfolgreichen Betrieb aufzubauen. Du kannst nicht die Türen öffnen und den Gästen ein halb fertiges Konzept präsentieren. Das funktioniert nicht!“

Die Namensfindung für sein Restaurant ging Fabian Günzel pragmatisch an: [ænd] steht für Verbindung, für Gast & Gastgeber, Neugier & Erfahrung, Qualität & Genuss. „Die Lautschrift sah irgendwie cool aus“, sagt Günzel. „Und dank des „a“ taucht das Lokal weit oben in jeder Liste auf.

Nicht fürs eigene Ego kochen

Bei seinem Restaurant hat Fabian Günzel alles so umgesetzt, wie es in der Top-Gastronomie seiner Meinung nach sein sollte. „Wir haben uns die Frage gestellt, was die Gäste wirklich brauchen und wollen“, führt der temperamentvolle Gastronom aus. „Weiße Tischdecken braucht kein Mensch und das ganze Showgehabe der Sternegastronomie auch nicht.“

Auf die Pinzette zum Anrichten und eine Pipette zum Sauceträufeln verzichtet er ebenfalls und bringt sein kulinarisches Wissen lieber in minimalistisch anmutender Perfektion auf die Teller. Mehr als drei Komponenten je Gang gibt es nicht. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die wenigen Produkte, die es auf den Teller schaffen, mit außergewöhnlich guter Qualität überzeugen. „Ich will nicht fürs Ego oder Kollegen kochen, sondern so, dass unsere Gäste verstehen, was wir ihnen servieren“, bekräftigt Fabian Günzel. „Alles, was wirklich zählt, ist der Geschmack. Das ist es, was die Gäste beurteilen können.“

Aend verbindet, was zusammen gehört: Gast & Gastgeber, Neugier & Erfahrung, Qualität & Genuss

Fabian Günzel

Vom Regionalitätsfanatismus hält Günzel hingegen nichts. „Ich glaube, dass die Leute, wenn sie essen gehen, das Gefühl brauchen, für ihr Geld auch was zu bekommen“, so der Koch. „Dazu gehören dann eben exklusivere Zutaten, die nicht vor der Haustür wachsen. Das erwarten die Leute und wir richten uns danach. Nur regional funktioniert in meinen Augen nicht.“

Freie Wochenenden und überdurchschnittliche Bezahlung

Die Abkehr von hochkomplizierten Gerichten und die Reduktion aufs Wesentliche haben nicht nur ideelle Hintergründe. Je aufwendiger ein Teller angerichtet ist, desto mehr Hände sind dafür nötig. Aber gerade beim Thema Personal fährt Günzel einen anderen Kurs als viele seiner Kollegen. Die Arbeitszeiten sind minutiös getaktet: Um 10 Uhr kommt die Küchencrew zum gemeinsamen Frühstück zusammen, bevor sie sich dem Mise en Place für den Mittagsservice widmen. „Der Mittagstisch sichert uns ein finanzielles Polster“, so Günzel. Von 14 bis 17 Uhr ist Pause für alle bis das Abendgeschäft startet. Es gibt nur ein Menü, das aus elf oder vierzehn Gängen besteht, denn „das lässt sich mit der Truppe vernünftig umsetzen“, wie der Gastronom betont.

Korrespondierend zum Menü kredenzen zwei Sommeliers, darunter Simon Schubert, Weine in ausgesuchter Qualität. Das Thema Wein und formvollendeter Service sind Fabian Günzel besonders wichtig. Er versteht die Kollegen im Service als „Dosenöffner“, die die Sprache der Gäste sprechen können müssen. „Ich wünsche mir, dass meine Gäste schön angesoffen das Restaurant verlassen und sich an unseren freundlichen Service erinnern“, sagt der Gastronom. Um die Gäste nicht bei persönlichen Gesprächen zu stören und um den personellen Aufwand gering zu halten, verfügen alle Tische im aend über eine spezielle Schublade mit Besteck und Servietten zum Selbsteindecken.

Am Wochenende bleibt das aend konsequent geschlossen. „Du musst dir was einfallen lassen und deinen Leuten Anreize für diesen Job bieten“, sagt Fabian Günzel. So erinnern nicht nur die Arbeitszeiten an einen 9to5-Job, sondern auch die Bezahlung ist besser als für die Branche üblich. „Wenn es den Mitarbeitern gut geht, kommt der Rest von ganz alleine“, betont der Gastgeber.

Kompromisslos ehrlich

Bei der Zubereitung können die Gäste Günzel und seiner Mannschaft genau auf die Finger gucken, denn die Küche ist ohne trennende Glasscheiben und Wände direkt in den Gastraum integriert. „Wir haben nichts zu verstecken und außerdem kannst du außer als Kinderarzt in kaum einem anderen Beruf mehr ehrliche Emotionen wecken. Wir bekommen immer das direkte Feedback von den Gästen.“ Die Ehrlichkeit wünscht er sich auch in anderen Bereichen der Gastronomie.

„Jungen Leuten wird ein völlig falsches Bild von unserem Beruf vermittelt. Es ist doch naiv, zu glauben, dass sich für jedes neue Restaurantprojekt schon irgendwie ein Finanzier finden lässt“, echauffiert Günzel sich. Für sein Restaurant stellte er selbst die Finanzierung, lebte dafür lange Zeit beinahe asketisch und äußerst sparsam. Beim Umbau der ehemaligen Pizzeria an der Ecke zum angesagten Sternelokal hat der Gastronomen oft selbst mit Hand angelegt. „Ich kenne hier jeden Stein mit Namen und habe eine Menge Herzblut in den Laden gesteckt“, so Günzel.

Fabian Günzel hat eine militärische Ausbildung genossen, die ihn bis heute stark prägt. Disziplin und absolute Zuverlässigkeit fordert er nicht nur von seinen Angestellten ein, sondern indirekt auch von seinen Gästen. Um dem vieldiskutierten Problem der No-Shows entgegen zu wirken, setzt Günzel auf ein Reservierungssystem, bei dem Kreditkarteninformationen bei der Buchung direkt hinterlegt werden. „Das sind die Vorteile einer Metropole. Hier kannst du dir das erlauben, auf dem Land geht das schlecht“, betont er.

Fabian Günzel zelebriert eben die Rebellion gegen das eingefahrene Das-macht-man-so. Das gefällt nicht jedem und macht ihn für viele zum Aufrührer. Der Branche aber tut es gut, wenn Menschen wie er zum Umdenken anregen.

Der Artikel erschien zuerst in der Küche Nr. 10

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